„Ich weiß gar nicht, was ich will…“ – Eigene Bedürfnisse (wieder) entdecken

„Was willst Du eigentlich?“ – Eine scheinbar einfache Frage, die manchmal eine beunruhigende Leere auslöst. Statt einer klaren Antwort entsteht Schweigen. Kein nachdenkliche Schweigen, sondern eine Stille der Ratlosigkeit.

„Ich weiß es nicht“ – und mit dieser Erkenntnis kommt oft die ernüchternde Gewissheit: Der Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen ist verloren gegangen. Eigene Bedürfnisse erkennen wird dann zu einer der wichtigsten Aufgaben auf dem Weg zurück zu sich selbst.

Inhalt

1. Wenn die innere Orientierung verloren geht

Es gibt Lebensphasen, in denen wir spüren: Etwas stimmt nicht. Wir fühlen uns erschöpft, gereizt oder innerlich unruhig – ohne zu verstehen, warum.

Die ehrliche Frage „Was brauche ich eigentlich gerade?“ bleibt unbeantwortet. Es ist, als wäre der Zugang zu unserer inneren Welt verschüttet.

Oft ist dies die Folge jahrelangen Funktionierens nach speziellen Mustern, z.B.:

  • ständig für andere da sein
  • Erfüllung erfüllen, um Anerkennung zu erfahren
  • dauerhafter Leistungsdruck
  • Konflikten aus dem Weg gehen.

Dabei haben wir unsere eigene innere Stimme, unsere Wünsche und Bedürfnisse ignoriert. 

2. Was sind unsere Bedürfnisse?

Bedürfnisse sind innere Antriebskräfte, Wünsche oder Anliegen, die unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. Unsere Bedürfnisse zu kennen und vor allem nach ihnen zu handeln ist essentiell für ein zurfriedenes Leben. Sie sind unser innerer Kompass und wenn wir ihnen folgen, spüren wir mehr Sinn, Lebendigkeit und Zufriedenheit.

Einige Beispiele unserer Bedürfnisse:

  • Sicherheit und Vertrauen
  • Ruhe und Entspannung
  • Nähe und Verbindung
  • Gemeinschaft und Zugehörigkeit
  • Klarheit und Verständnis
  • Selbstbestimmung und Autonomie
  • Struktur und Ordnung
  • Spaß und Lebendigkeit

Wir alle teilen diese grundlegenden menschlichen Bedürfnisse, auch wenn ihre Priorität und Ausprägung individuell verschieden ist.

Bedürfnisse zu haben ist weder schwach noch egoistisch. Sie sind elementar. Je besser wir mit ihnen verbunden sind, desto klarer erkennen wir, was uns guttut, wo unsere Grenzen liegen und wie wir gesunde Entscheidungen treffen können.

Wie Bedürfnisse sich zeigen

Idealerweise sind uns unsere Bedürfnisse bewusst. Häufig zeigen sie sich jedoch indirekt über unsere Gefühle oder Körpersignale. Einige Beispiele

Unerfüllte Bedürfnisse führen zu:

  • Frust, Traurigkeit oder Gereiztheit
  • Erschöpfung, Ohnmacht oder Angst
  • Innere Leere, Unruhe oder Rückzug

Erfüllte Bedürfnisse hingegen bewirken:

  • Glück und Zufriedenheit
  • Freude und Begeisterung
  • Motivation und Energie
  • Entspannung und Erleichterung

3. Wie wir den Zugang zu uns selbst verlieren

Obwohl wir täglich unzählige Entscheidungen treffen müssen, fällt es vielen Menschen schwer zu spüren, was sie selbst brauchen oder wollen. Diese innere Stimme der Bedürfnisse zu entdecken wird zur Herausforderung, weil sie kaum noch hörbar ist.

Oft sind es andere Stimmen, die lauter sind, als die eigene:

  • Familienerwartungen bestimmen unsere Entscheidungen
  • Berufliche Anforderungen übertönen persönliche Bedürfnisse
  • Gesellschaftliche Vorstellungen prägen unser Selbstbild
  • Die Bedürfnisse unseres Umfelds haben Vorrang
  • Streben nach Harmonie
  • Angst vor Streit oder Ablehnung

Mit der Zeit verlieren wir das Gespür für unsere eigene Richtung. Was will ich wirklich? wird zu einer Frage ohne Antwort.

3.1. Wenn Gefühel und Bedürfnisse nicht greifbar sind

Wenn wir unsere Bedürfnisse nicht kennen oder benennen können, entstehen charakteristische Empfindungen:

Das Gefühl, die eigenen Bedürfnisse nicht benennen zu können, zeigt sich in typischen Symptomen:

  1. Diffuse Unzufriedenheit – ein Gefühl von Unwohlsein
  2. Orientierungslosigkeit – es fehlt der innere Kompass
  3. Innere Leere – das Gefühl, „ferngesteuert“ zu sein
  4. Unterschwellige Gereiztheit – ohne klaren Auslöser
  5. Rückzugstendenzen – ohne zu wissen warum.

Ein Paradox entsteht:  Aus Angst vor Konflikten sprechen wir unsere Bedürfnisse nicht aus und genau dadurch entstehen Frust, Missverständnisse oder Streit.

3.2. Andere bestimmen unsere Entscheidung

Wenn wir nicht wissen, was wir wollen, treffen andere die Entscheidungen für uns. Das mag kurzfristig bequem erscheinen, führt aber langfristig zu gravierenden Problemen:

Individuelle Auswirkungen:

  • Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung
  • Innere Unzufriedenheit trotz äußerer Anpassung
  • Funktionieren statt authentisch leben
  • Körperliche Symptome wie Unwohlsein, Schlafstörungen, Verspannungen

Auswirkungen auf Beziehungen:

  • Andere sollen erraten, was wir brauchen 
  • Wir sagen „Ja“, obwohl wir „Nein“ fühlen
  • Teufelskreis entsteht: Je weniger wir uns äußern, um so weniger Befriedigung erfahren wir.
  • Selbstdefinition über andere: Überfürsorglichkeit in Beziehungen führt zur Selbstaufgabe

4. Zurück zu uns selbst: Bedürfnisse wieder entdecken

Bedürfnisse erkennen und kommunizieren kann man (wieder) erlernen. Unsere Bedürfnisse sind nicht verschwunden. Auch wenn sie momentan nicht greifbar sind, existieren sie weiterhin.

Wir brauchen:

  • Zeit
  • Geduld
  • Achtsamkeit
  • die Bereitschaft, ehrlich hinzuschauen

Mit Geduld, Achtsamkeit und den richtigen Impulsen lassen sie sich wieder entdecken. Manchmal beginnt dieser Weg mit einem Moment der Stille, einem ehrlichen Innehalten oder einer einfachen Frage.

4.1. Selbstreflexion: "Was bisher geschah"

Zu Beginn sollten wir uns reflektieren – neugierig und liebevoll. Zum Beispiel:  

  • Welche Gefühle sind in der Vergangenhiet aufgetaucht; wann und wieso haben wir diese ignoriert?
  • Welche Handlungsmuster werden uns bewusst?
  • Nutzen wir Strategien zur Konfliktvermeidung?
  • Sind unsere Handlungweisen und das Ignorieren der eigenen Gefühle und Bedürfnisse vom Kontext oder von unserer Rolle abhängig? 
  • Kennen wir unsere Bedürfnisse in einzelnen bestimmten Situationen?
  • Wann gelingt es uns, unsere Bedürfnisse zu spüren und auch zu kommunizieren?
  • In welchen Momenten fühlen wir uns rundum wohl? 

4.2. Körperliche Signale wahrnehmen

Unsere körperlichen Reaktionen können uns bedeutende Hinweise geben, was „bei uns los ist“. Unser Körper spricht oft zuerst und auch deutlich. Deshalb hilft es, regelmäßig innezuhalten und zu fragen:

  • Wie geht es mir gerade?
  • Bin ich müde oder wach?
  • verspannt oder entspannt?
  • unruhig oder gelassen?

Körperliche Signale sind oft der direkte Zugang zu dem, was gerade gebraucht wird.

4.3. Spontane Reaktionen beobachten

Auch spontane Reaktionen liefern wertvolle Anhaltspunkte um Bedürfnisse bewusst werden zu lassen:

  • Was lässt uns innerlich aufatmen?
  • Wobei spüren wir Widerstand oder Enge?
  • Welche Situationen geben uns Energie und Mut?
  • Was kostet uns unverhältnismäßig viel Kraft? 

4.4. Für mehr Klarheit: Die richtigen Fragen stellen

Anstatt sich zu fragen: „Was will ich eigentlich?“ – was oft zu groß wirkt – helfen kleinere, alltagstaugliche Fragen:

  • Was brauche ich jetzt gerade?“
  • „Womit würde es mir jetzt ein wenig besser gehen?“
  • „Was fühlt sich in diesem Moment richtig an?“
  • „Wovon brauche ich heute mehr?“
  • „Wovon brauche ich heute weniger?“

5. Bedürfnisse klar und wertschätzend kommunizieren

Wenn wir unsere Bedürfnisse wieder spüren, folgt der nächste Schritt: sie mitzuteilen.

Denn: Andere können nicht erraten, was wir brauchen. Diese Verantwortung liegt bei uns selbst und sie ist gleichzeit eine große Chance.

Bedürfnisse auszusprechen heißt nicht, Forderungen zu stellen. Es bedeutet, klar, ehrlich und ohne Angriff zu sagen, was uns wichtig ist.

Alle Bedürfnisse aller Beteiligten sind gleichwertig und wenn wir sie ernst nehmen, können wir gemeinsam kreative Lösungen finden.

Lesen Sie mehr zur Kommunikation der Bedürfnisse in meinem Blogbeitrag Bedürfnisse klar kommunizieren und dadurch Frust und Streit verhindern.

Fazit

Den Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen wiederzufinden ist eine wertvolle Investition in das eigene Wohlbefinden. Es ist ein Akt der Selbstfürsorge. Je klarer wir wissen, was wir brauchen, desto zufriedener werden wir – mit uns selbst und mit anderen.

Der Weg zurück zur inneren Klarheit braucht Zeit und Geduld. Doch mit jedem „Das will ich“ oder „Das brauche ich nicht“ kehrt ein Stück Lebendigkeit zurück. Sie werden merken: Ein Leben, das von den eigenen Bedürfnissen geleitet wird, fühlt sich nicht nur erfüllter an – es ist auch ehrlicher, klarer und macht uns zufrieden.

Unsere Bedürfnisse sind unser innerer Kompass. Es lohnt sich, ihm wieder zu vertrauen.

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Ulla Sieburg-Gräff

*Coachin für alle, die ihre Kommunikation erneuern und ihre Konflikte lösen möchten sowie für Menschen mit schwierigen Entscheidungen und in Umbruchphasen.
*Mediatorin für alle, die ihre Konflikte lösen möchten.

2 Gedanken zu „„Ich weiß gar nicht, was ich will…“ – Eigene Bedürfnisse (wieder) entdecken“

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag. Dieses Thema hat mich in den letzten Jahren auch sehr beschäftigt. Das diffuse an der Sache war für mich besonders schwierig. Die gute Nachricht ist aber: Es ist kein festgeschriebenes Schicksal, wenn wir mal den Kontakt zu unseren Bedürfnissen verloren haben. Und wie so oft, ist klare, wertschätzende Kommunikation die Basis dafür, dass wir wieder mehr mit uns in Kontakt kommen 🙂

    Gerade in diesen turbulenten Zeiten, in denen so viel auf uns einprasselt, ist dein Beitrag so wertvoll!

    Liebe Grüße
    Angela

    Antworten
    • Ja, liebe Angela, es kann immer wieder passieren, dass wir den Kontakt zu unsere Bedürfnissen verlieren, gerade, wenn es hektisch und unübersichtlich wird. Gerade dann hilft es, sich bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen, in sich hineinzuspüren und die kleinen Regungen wahrzunehmen. Es geht oft um kleine Schritte: „Was brauche ich jetzt gerade“ – das frage ich mich häufig, um wieder mit mir selbst verbunden zu sein.
      Vielen Dank für Deinen Kommentar, es freut mich, dass Dir mein Beitrag gefällt.
      Liebe Grüße, Ulla

      Antworten

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ulla sieburg-gareff coachin mediatorin

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