Irmi steht in der Küche, die Kaffeetasse in der Hand, und überlegt: Sag ich es – oder lieber nicht?
Seit Tagen grübelt sie über diesen einen Vorfall mit ihrer Kollegin. Die Situation, der Tonfall, das Timing , es hat sich einfach nicht gut angefühlt. Aber war es wirklich so schlimm? Oder übertreibt sie gerade?
„Ich will keinen Streit …“, denkt sie – und genau das sagt sie dann auch. Doch kaum hat sie den Satz ausgesprochen, verändert sich etwas: Die Mimik des Gegenübers wird starr, die Stimmung kippt. Dabei wollte sie doch einfach nur klären, was ihr auf dem Herzen liegt.
Kennen Sie diese oder eine ähnliche Situation? Schauen wir darauf, warum der Gesprächseinstieg „Ich will keinen Streit…“ nicht gut funktioniert und wie es besser geht.
Inhalt
Ein klassischer Fehler beim Gesprächseinstieg in herausfordernde Situationen
Stellen Sie sich vor, es geht Ihnen wie Irmi in obigen Beispiel: Es liegt Ihnen schon seit Tagen etwas auf dem Herzen. Endlich haben Sie den Mut und wählen den typischen Gesprächseinstieg: „Ich will keinen Streit, aber …“
Doch anstatt der erhofften harmonischen Atmosphäre passiert genau das Gegenteil: Ihr Gegenüber wird sofort defensiv, die Schultern straffen sich, die Lippen sind aufeinandergepresst, der Blick versteinert. Der Gesprächseinstieg in die herausfordernde Situation ist misslungen, noch bevor das eigentliche Thema zur Sprache kam.
Wieso wählen wir den Gesprächseinstieg „Ich will keinen Streit, aber …“ ?
Wie kommt es, dass wir diesen Gesprächseinstieg wählen? Weil es im Grunde das ist, was wir wirklich wollen: keinen Streit.
Es ist häufig der Wunsch nach Harmonie, der uns diesen Gesprächseinstieg wählen lässt. Es soll bitte alles gut sein, wir wollen nicht zur Last fallen und ganz sicher keinen Ärger haben.
Der Gedanke ist also durchaus verständlich und dennoch scheitern wir „gerne“ mit dieser Formulierung.
Typische Gründe für diesen Gesprächseinstieg:
⇒ Angst vor Zurückweisung und Konflikt
⇒ schmerzhafte Erfahrungen in der Vergangenheit mit schwierigen Unterhaltungen
⇒ Sehnsucht nach Harmonie und Konfliktvermeidung
⇒Unkenntnis über die Gefühls- und Bedürfnislage des Gegenübers
⇒ Unerfahrenheit in wertschätzender Gesprächsführung
⇒ Mangelnde Erfahrung mit konstruktiver Konfliktlösung
⇒ Unsicherheit über angemessene Kommunikationsstrategien
⇒ Gesellschaftliche Prägung, z.B. darüber spricht man nicht.
⇒ Bestehende Machtstrukturen in der Beziehung (beruflich/privat)
Mit „Ich will keinen Streit“ versuchen wir unbewusst, den Gesprächseinstieg zu entschärfen – noch bevor wir unsere eigene Botschaft klar formuliert haben
Oft fehlt uns das Wissen darüber, wie unser Gegenüber die Situation wahrnimmt oder welche Bedürfnisse dahinterstehen. Statt nachzufragen oder die Perspektive zu erkunden, setzen wir vorsorglich auf Schadensbegrenzung.
Was bei diesem Gesprächseinstieg wirklich passiert
Der Effekt ist paradox: Dieser vermeintlich deeskalierende Gesprächseinstieg in herausfordernde Situationen bewirkt oft das Gegenteil. Er signalisiert unterschwellig „Achtung, hier kommt etwas Schwieriges – machen Sie sich bereit!“
Die Folgen dieses Gesprächseinstiegs:
⇒ Das Gegenüber geht automatisch in Abwehrhaltung
⇒ Ihre Botschaft wirkt unsicher und schwach und damit gegenteilig zur eigentlichen Absicht
⇒ Die Atmosphäre wird angespannt, bevor Sie überhaupt begonnen haben
⇒ Aus dem Friedensangebot wird eine selbsterfüllende Prophezeiung des Konflikts.
Auch diese Formulierungen können kontraproduktiv wirken:
- „Unsere Beziehung ist mir wichtig, deshalb…“ → Signalisiert: „Achtung, unsere Beziehung ist in Gefahr!“
- „Mir ist daran gelegen, dass wir gut miteinander klarkommen…“ → Klingt wie eine Analyse – wir kommen nicht gut miteinander klar.
- „Nimm es mir nicht übel, aber…“ → Bereitet auf etwas Verletzendes vor
- „Es ist nicht so schlimm, aber…“ → es könnte „schlimm“ sein.
Vermeiden Sie Formulierungen, die unterschwellig Gefahr, Konflikt oder Bedrohung ankündigen.
Die besseren Alternativen für den Gesprächseinstieg in herausfordernden Situationen
- „Ich möchte über [ xy ] sprechen. Passt es dir jetzt?“ Ja, dieser Einstieg ist sehr direkt. Er ist aber vor allem klar und sachlich.
- „Ich möchte gerne über ein Thema sprechen, das mich beschäftigt. Hättest du gerade einen Moment dafür? Dieser Einstieg ist geeignet, wenn unbeteiligte Personen dabei sind und wir das Thema nicht direkt benennen möchten.
- Ich habe da einen Gedanken, den ich mit Ihnen besprechen möchte. Ich bin gespannt auf Ihre Sichtweise. Bei diesem Gesprächseinstieg wecken Sie Neugier und betonen die Wertschätzung.
- Der klassische Einstieg im Sinne der gewaltfreien Kommunikation, den wir anwenden, wenn wir das Gespräch starten.
Mit Formulierung einer Beobachtung, der eigenen Gefühle und Bedürfnisse sowie eine Bitte. Ein Beispiel:
a) In Ihrem Vortrag gestern hatten Sie eine andere Agenda, als wir ursprünglich vereinbart hatten (Beobachtung)
b) Das hat mich irritiert (Gefühlsebene),
c) weil mir Absprachen und Struktur wichtig sind (Bedürfnisebene)
d) Ich würde gerne jetzt mit Ihnen darüber sprechen (Bitte)
oder
d) Ich würde gerne Ihre Sichtweise dazu hören
oder
d) Ich habe einen Vorschlag, den ich gerne besprechen möchte
Welcher Einstieg „der richtige“ ist, hängt immer vom Moment ab, von der Situation, dem Thema und den beteiligten Personen.
Entscheidend ist, dass wir klar und wertschätzend kommunizieren, authentisch bleiben und unser Gegenüber abholen. So schaffen wir eine Gesprächsatmosphäre, Verstehen, Verständnis und Verbindung möglich werden. Wir sollten schwammige, irritierende oder belehrende Formulierungen vermeiden.
Besonderheiten des Gesprächseinstiegs in herausfordernde Situationen
Was mache ich, wenn mein Gegenüber trotzdem defensiv reagiert?
Bleiben Sie ruhig und wiederholen Sie Ihre positive Intention: „Mir geht es um die gemeinsame Klärung/Lösung der Sache.“
Wie finde ich den Mut für schwierige Gesprächseinstiege?
Machen Sie sich bewusst.: Schweigen oder ein „Weiterso“ löst das Problem nicht. Ein respektvoller Gesprächseinstieg zeigt, dass Ihnen das Thema bzw. die Beziehung wichtig ist.
Erinnern Sie sich an frühere Situationen, in denen Ihnen der Einstieg in herausfordernde Gespräche bereits gelungen ist. Wie war die Situation? Was passt davon zur heutigen Herausforderung?
Wie gehe ich mit Machtgefällen um (z.B. mit dem Chef)?
Auch zwischen hierarchischen Strukturen funktioniert klare und wertschätzende Sprache: „Mir ist ein Punkt aufgefallen, den ich gerne ansprechen möchte“.
Das funktioniert besser als entschuldigende Formulierungen, wie „Ich hoffe, es ist okay, wenn ich das kurz anspreche“ oder „Ich will nur eben sagen, dass …“, macht Sie „kleiner“ als Sie sind.
Was, wenn ich unsicher bin, wie mein Gegenüber reagieren wird?
Genau deshalb ist ein offener Gesprächseinstieg besser: „Ich möchte etwas/xy mit Ihnen besprechen und interessiere mich für Ihre Sichtweise.“
So signalisieren Sie Interesse an der Perspektive des anderen.
Fazit: Der richtige Gesprächseinstieg macht den Unterschied
Erfolgreiche Kommunikation in herausfordernden Situationen beginnt mit dem ersten Satz. Mut zur Klarheit ist ein Akt der Selbstfürsorge – Sie dürfen sagen, was Ihnen wichtig ist, ohne sich dafür zu entschuldigen.
Der Gesprächseinstieg in herausfordernde Situationen ist wichtig. Echte Harmonie entsteht nicht durch Ausharren oder das Vermeiden von Meinungsverschiedenheiten, sondern durch ehrliche, respektvolle Kommunikation.
Probieren Sie bei der nächsten herausfordernden Situation einen klaren und wertschätzenden Gesprächseinstiege aus. Sie werden überrascht sein, wie viel entspannter das Gespräch verläuft.
Berichten Sie mir gerne von Ihren Erfahrungen.
Sie möchten gerne mehr von mir lesen? Schauen Sie auch auf meinem Blog vorbei und tragen Sie sich in meinen Newsletter ein.

*Coachin für alle, die ihre Kommunikation erneuern und ihre Konflikte lösen möchten sowie für Menschen mit schwierigen Entscheidungen und in Umbruchphasen.
*Mediatorin für alle, die ihre Konflikte lösen möchten.