Wir wissen es alle: große wie kleine Streitigkeiten gehören zu unserem Leben dazu.
Vieles lässt sich zum Glück schnell lösen. Aber manchmal passiert es eben, dass Streitigkeiten aufgrund von voreiligen Urteilen, Missverständnissen oder unterschiedlichen Wahrnehmungen eskalieren.
Es gibt eine einfache, aber sehr effektive Methode, um solche Spannungen zu entschärfen: das gezielte Nachfragen! Die Kunst des Nachfragens und dabei die richtigen klärenden Fragen zu nutzen kann nicht nur helfen, Konflikte zu lösen bzw. zu vermeiden, sondern auch ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln.
Inhalt
Wieso Nachfragen zur Konfliktlösung und -vermeidung so wichtig ist
In jedem Gespräch lauern potenzielle Missverständnisse. Unsere individuellen Erfahrungen, Überzeugungen und Erwartungen beeinflussen, wie wir Gesagtes und auch Nicht-Gesagtes wahrnehmen und interpretieren.
Oft meinen wir, genau zu wissen, was der andere ausdrücken möchte, und reagieren vorschnell auf das, was wir glauben, gehört zu haben.
Doch genau hier liegt eine der größten Gefahren unserer Kommunikation: die Annahme, wir hätten den anderen vollständig verstanden.
Hört sich kompliziert an? Ist es irgendwie auch, denn: wir können nicht wirklich wissen, was unser Gegenüber meint. Wir vermuten es aufgrund der Aussagen und unserer Erfahrungen. Und schon haben wir das „schönste Missverständnis“.
Ein Beispiel: Mia und Pit planen ihr bevorstehendes Wochenende. Mia sagt, sie möchte gerne mal wieder mit ihren Freundinnen losziehen. Pit interpretiert in die Aussage: ich bin Mia zu langweilig. Er ist enttäuscht und mürrisch. Mia wiederum denkt, Pit ist sauer, weil sie nicht genug Zeit mit ihm verbringt.
Wir sehen, ohne Nachfragen, kann ein Satz ungewollt Verletzungen und Fehlinterpretationen auslösen.
Schauen wir auf 5 Aspekte, weshalb Nachfragen hilfreich ist bzw. wie aus kompliziert ganz einfach werden kann:
1. Vermeidung von Missverständnissen
Missverständnisse entstehen häufig, weil wir Aussagen basierend auf unseren eigenen Annahmen, Kenntnissen, Vorstellungen, Vorurteilen, Erwartungen etc. interpretieren. Ein einfaches Nachfragen wie „Habe ich dich richtig verstanden, dass…?“ kann solche Missverständnisse schnell klären. Direktes Nachfragen verhindert auch ein „Verschleppen“ von Missverständnissen, das ungewollte emotionale Reaktionen auslösen könnte.
Geeignete Fragen wären auch: Du erhoffst Dir also…?
Gehst Du demnach davon aus, dass…?
Meinst Du damit, dass…?
Ich glaube, ich habe gerade nicht verstanden, worum es Dir geht; bitte erkläre mir …..
2. Verhinderung einer Eskalation
Gespräch oder Streitereien können eskalieren, weil ein Gesprächspart das Gefühl hat, übergangen oder nicht richtig verstanden zu werden. Dabei können die Emotionen hochkochen, ungewollte Verletzungen brechen auf oder es kommt zu Vorwürfen etc. und das eigentliche Thema des Gesprächs rückt völlig in den Hintergrund.
Genau hier kann das Nachfragen eine entscheidende Rolle spielen, um den Dialog wieder auf eine neutrale Ebene zu bringen und eine weitere Eskalation zu verhindern. Der Fokus kann durch gut gewähltes Nachfragen wieder auf das Wesentliche gelenkt werden, sodass Klarheit entsteht, statt Frust und Wut.
Wir können dann z.B. in ruhigem Tonfall und wertschätzend fragen: Kannst du mir bitte genauer erklären, was dich gerade verärgert hat? Was sollten wir jetzt konkret klären? An welcher Stelle fühlst Du Dich missverstanden? Ich sehe, Sie regen sich gerade sehr auf, können wir bitte erst klären, was Ihnen jetzt wichtig ist?
3. Wertschätzung und Respekt zeigen
Durch gezieltes Nachfragen zeigen wir unserem Gegenüber, dass uns auch die andere Meinung wichtig ist und wir wirklich verstehen möchten. Dieses wertschätzende Ansprechen ist die Basis für konstruktive Gespräche und Konfliktvermeidung.
Wenn wir uns gesehen, gehört und verstanden fühlen, sind wir eher bereit, die Position der anderen ebenfalls zu verstehen und uns aufeinander zuzubewegen.
Wir könnten reagieren mit: Ich habe gerade den Eindruck, du bist verärgert; was brauchst Du jetzt, um …
Ich sehe gerade, dass du [weinst, verwirrt bist, zitterst…], bitte sag mir, wie ich Dich unterstützen kann…
4. Klarheit und tieferes Verständnis
Nachfragen hilft nicht nur dabei, Klarheit zu schaffen, sondern kann ein tieferes Verständnis bewirken – sowohl bei uns selbst als auch bei unserem Gesprächspartner.
Indem wir beispielsweise fragen: „Was hat dich zu dieser Ansicht gebracht?“ ermutigen wir den oder die andere/n, über die eigenen Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse nachzudenken und sie uns gegenüber zu äußern.
Wir erhalten dadurch tiefere Einsichten in die Gedankenwelt und Argumentationen unseres Gegenübers, was Missverständnisse reduziert, Verstehen und Verständnis fördert.
5. Offenheit und Lösungsmöglichkeiten
Gezieltes Nachfragen erweitert den Raum für eine offene und ehrliche Kommunikation. Wenn beide Seiten sich gesehen, gehört und verstanden fühlen, sind sie eher bereit, die Perspektiven und Argumente des jeweils anderen ebenfalls anzuerkennen. Dies ist die beste Basis für das Kreieren einer gemeinsamen Lösung.
Die richtigen Fragen stellen
Natürlich ist nicht jede Form des Nachfragens pauschal geeignet. Auch ein angemessener Tonfall und eine entsprechende Mimik (siehe auch zu nonverbaler Kommunikation) sind wichtige Begleitungen einer geeigneten Frage.
Schauen wir auf vier Arten von Fragen –wobei dies nur eine Auswahl sein kann, es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, Fragen zu stellen.
1. Klärende Fragen
Hierbei liegt der Schwerpunkt darauf, mehr Klarheit zu erhalten; es geht vorrangig um inhaltliches Verständnis.
Klärende Fragen dienen dazu Missverständnisse vorzubeugen bzw. Unsicherheiten auszuräumen und sicherzustellen, dass wir unser Gegenüber richtig verstanden haben.
Zum Beispiel können wir fragen:
Ich habe Deine Aussage so verstanden, dass..?
Verstehe ich Dich richtig, dass ….?
Ich habe [ xy] verstanden – meintest das mit deiner Aussage?
2. Offene Fragen
Offene Fragen sind alle Fragen, auf die man allgemein nicht nur geschlossen mit „ja“ oder „nein“ antwortet. Diese Fragen ermöglichen es uns, mehr Auskünfte zu erhalten über Inhalte und Gefühle etc.; sie ermöglichen es der anderen Person die eigene Sichtweise ausführlicher darzulegen.
Wir zeigen damit, dass wir gerne mehr dazu erfahren möchten. Offene Fragen fördern tiefere Gespräche und helfen, die Perspektive der bzw. des anderen besser zu verstehen.
3. Reflektierende Fragen
Reflektierende Fragen signalisieren, dass wir an den Ansichten und Aussagen der bzw des anderen interessiert sind. Wir haben hin-gehört und vergewissern uns, dass wir alles richtig verstanden haben. Wir können empathisch aufgreifen, was wir gehört haben.
Ein solche Frage könnte etwa lauten: Ich habe gehört, dass Dich dies sehr mitnimmt, hast du eine Idee, wie wir damit umgehen können?
Für mich hört es sich so an, als würdest Du Dich ungerecht behandelt fühle, weil …?
Du wünscht Dir mehr [Aufmerksamkeit, Ruhe, Berücksichtigung, … etc], habe ich das richtig verstanden?
4. Hypothetische Fragen
Diese Fragetechnik kann nützlich sein, um alternative Aussagen, Lösungen oder Sichtweisen des Gegenübers zu erhalten.
Zum Beispiel können wir fragen:
Angenommen, wir gehen den anderen Weg, was denkst Du, wie es sein wird?
Wie wäre es, wenn wir es so …. machen würden?
Stell Dir vor morgen passiert [xy], welche Lösungsidee hättest Du dann?
Unsere innere Haltung beim Nachfragen
Wir haben schon gesehen, es kommt bei der Kunst des Nachfragens auf die richtigen Worte an; auch der Tonfall und unsere Gesten sollten angemessen sein. Es bedarf aber auch einer bewussten inneren Haltung. Denn diese beeinflusst maßgeblich, wie unsere Fragen von anderen wahrgenommen wird und welchen Effekt sie letztendlich haben.
1. Aufrichtiges Interesse
Wenn wir ehrlich daran interessiert sind, zu erfahren, was unser Gegenüber uns sagen möchte, dann kann man das spüren.
Wenn wir nachfragen, sollten wir es nicht tun, weil wir nur neugierige sind, sondern, weil wir ehrliches Interesse an der Person und ihrem Standpunkt haben.
2. Respekt und Wertschätzung
Wir sollten mit unseren Gesprächspartnern und -partnerinnen immer wertschätzende und respektvoll umgehen. Unsere Fragen sollten vermitteln, dass wir die Meinung und Gefühle der bzw. des anderen wahrnehmen und respektieren, auch wenn wir vielleicht anderer Ansicht sind.
3. Geduld und Gelassenheit
Nachfragen kann Geduld erfordern, denn sie brauchen ggfs. Zeit. Nicht jeder kennt direkt alle Fachworte, manchmal drücken Menschen sich umständlich aus oder es fehlt Hintergrundwissen – all das kann Geduld erfordern. Wir sollten gelassen bleiben, auch wenn wir zweimal oder öfter nachfragen müssen. Es lohnt sich!
4. Offenheit
Wir sollten offen in Gespräche gehen und bereit sein, andere Sichtweisen anzunehmen. Nachfragen dienen dann nicht nur dazu, die Perspektive der bzw. des anderen zu verstehen, sondern auch, die eigenen Sichtweisen zu erweitern.
5. Bereitschaft zur Selbstreflexion
Selbstreflexion kann uns helfen, in angespannten Situationen ruhig und klar zu bleiben. Wir sind uns unserer eigenen Gefühle, (Vor-)Urteile und Kommunikationsmuster bewusst und können diese in den Gesamtzusammenhang des Gesprächs einordnen. Zudem können wir angemessen reagieren, ohne in z.B. in Übertreibungen oder Vorwürfe verfallen zu müssen.
Selbstreflexion bedeutet auch die Bereitschaft, nachzudenken und zu lernen: was lief in einem Konfliktgespräch falsch, was könnten wir das nächste Mal besser machen? In Prinzip bedeutet es, uns selbst ebenfalls die richtigen Fragen zu stellen.
Wann ist Nachfragen sinnvoll?
Nachfragen sind immer nützlich, denn nur wenn wir uns gegenseitige verstehen, können wir Missverständnisse vermeiden und effektiver gemeinsame Lösungen finden.
Wir fragen nach z.B. :
- in hitzigen Diskussionen, um Empathie zu vermitteln und die Situation zu beruhigen
- bei komplexen oder mehrdeutigen Aussagen, um die Inhalte zu verstehen
- wenn (unterschiedliche) Annahmen oder Voraussetzungen sichtbar werden
- in Verhandlungen, um konstruktive Lösungen erarbeiten zu können
- wenn das Gespräch oder der Lösungsprozess ins Stocken gerät, um neue Impulse zu geben oder zu erhalten
- um festgefahrene Positionen zu lösen und neue Perspektiven zu eröffnen.
Fazit
Die Kunst des Nachfragens bzw. die richtigen Fragen im richtigen Kontext zu stellen, ist ein mächtiges Werkzeug in der Gesprächsführung und Konfliktlösung oder -vermeidung. Mit klärenden Fragen können Missverständnisse vermieden, emotionale Eskalationen entschärft und eine wertschätzende Kommunikation gefördert werden.
Durch gezieltes Nachfragen schaffen wir Klarheit, fördern ein tieferes gegenseitiges Verständnis und öffnen den Raum für kreative und gemeinsame Lösungen.
Wer angemessen fragt, erfährt mehr Klarheit, signalisiert Wertschätzung führt damit gute Gespräche und löst Konflikte auf eine konstruktive und respektvolle Weise.
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