Unser Leben verläuft ganz sicher nicht immer lustig und doch sehen wir es spätestens an unseren humorvollen Mitmenschen: Humor kann das Leben erleichtern.
Ich stelle mir die Frage: Gilt das denn wirklich auch für mich? Habe ich diese wertvolle Ressource Humor auch oder kann ich Humor vielleicht lernen?
Unter persönlichen Ressourcen versteht man alle Fähigkeiten, Kompetenzen, Talente, Erfahrungen, Gefühle, Gedanken, Potential, Stärken, etc. Kurz alles, was uns hilft, das Leben oder die herausfordernden Situationen im Leben angemessen und gut zu bewältigen. All diese persönlichen Ressourcen tragen zu unserer Resilienz bei.
Unter Resilienz versteht man die Anpassungsfähigkeit an das Leben mit all seinen Herausforderungen und Widrigkeiten; oft auch als Widerstandsfähigkeit bezeichnet.
Eine dieser Ressourcen kann unser Humor sein.
Zu diesem Thema habe ich mich mit meiner Kollegin Anke Biester zu einem Gespräch getroffen. Anke Biester ist Wissenschaftsjournalistin, NLP-Master, NLP-Coach und: Clown. Sie hat in ihrem reichhaltigen Angebot auch ein eigenes Bühnenprogramm. Sie ist zudem als Clown in Krankenhäusern, Seniorenheimen und in der Jugendpsychiatrie tätig.
Für die ausführliche Fassung können Sie gerne auf Youtube unter diesem Link die Aufzeichnung des Gesprächs anschauen (ca. 35 Minuten).
Viel Freude mit der folgenden Zusammenfassung unseres Gesprächs.
Inhalt
Anke, wie bist du Clown geworden?
Ich habe einfach mal einen Kurs gemacht. Und in diesem Kurs habe ich das erste Mal das Gefühl gehabt, ich bin absolut im hier und jetzt.
Und das war so toll, dieses Gefühl. Davon wollte ich mehr.
Clownsein ist immer eine Einladung zum Spiel. Also es ist dieses Ja-Sagen; Ja-Sagen zum Spielangebot, das mein Gegenüber mir gibt. Es hat viel auch zu tun mit Ja-Sagen zum Leben.
Was kommt da auf mich zu? Will ich das? Ja! – will ich!
Wie läuft als Clown ein Besuch im Seniorenheim oder Krankenhaus ab?
Bei der Ankunft gibt es eine „Übergabe“ durch das dortige Fachpersonal, sodass wir wissen, welchen Menschen begegnen wir heute.
Mein Lieblingsbeispiel ist im Krankenhaus. Wer schon mal eine Blinddarm-OP hatte oder irgendeine Unterbauch-Operation und dann versucht hat, zu lachen. Das kann herausfordernd sein. Da ist es gut zu wissen, wer gerade in diesem Zimmer ist.
Bei den Kindern ist zudem interessant, wie alt sind sie. Ein dreijähriges Kind kann anders reagieren als ein pubertierendes Kind.
Nach der „Übergabe“ gehen wir (ich arbeite meist im Team) von Zimmer zu Zimmer. Wir klopfen an, fragen, ob wir reinkommen dürfen. Dann schauen wir, wer und was da ist:
Wo ist das Spiel? Wie ist die Person drauf; ist es ein Kind oder ein alter Mensch? Wie ist dieser Mensch in diesem Moment drauf, was kann dieser Mensch gerade? Es geht also nicht darum, was kann er gerade nicht, sondern es geht darum, was kann dieser Mensch, gerade jetzt.
Dann gucken wir: wo liegen die „Angebote“.
Es gibt keine Zwangs-Bespaßung! Alle Gefühle sind willkommen und dürfen da sein. Wir greifen alle Gefühle auf. Was dann noch entstehen kann, das ist dann das Schöne.
Wenn jemand traurig ist, dann nehmen wir das Traurigsein auf, weil das wichtig ist. Wir könnten sagen, das geht uns nichts an; nein, wir nehmen es auf und gucken, was ist denn noch? Und da kommt dann der Humor.
Was genau ist Humor?
Wir lachen gerne und das – da sind wir uns sicherlich einig, das hat was mit Humor zu tun. Was genau ist Humor?
Es gibt unterschiedliche Formen von Humor. Ich habe eine schöne Definition gefunden:
„Es ist die Gabe des Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen“.
Das hat für mich mit liebevoller Achtsamkeit zu tun, mir gegenüber, auch meinem Gegenüber gegenüber. Humor ist für mich einschließend, nicht ausschließend.
Und Humor heißt für mich, mit jemanden lachen und nicht über jemanden lachen.
Humor bringt Leichtigkeit, auch um befreit mal auf etwas anderes zu blicken. Humor ermöglicht uns einen Wechsel der Perspektive. Wenn ich in einem Problem drinstecke, steck ich fest. Wenn ich quasi neben mich treten und über die Situation lachen kann, dann stecke ich schon nicht mehr in diese Situation so fest.
Man entscheidet sich, etwas anderes zuzulassen, in dem Moment; etwas „rauszutreten“ und einfach auch mal lockerer zu werden. Dadurch etwas anderes zu sehen als nur das Problem, was auch gerade im Krankenhaus oder in einer Senioreneinrichtung sehr gerne angenommen wird, als Abwechslung und als Motivation.
Ist Humor eine Entscheidung?
ja, ich kann mich für Humor entscheiden.
Ich kann mich entscheiden, ob ich in der Situation feststecken will oder ob ich meinen Blick weiten will, ob ich ein „auch“ zulassen will.
Aber man kann so „in seiner Soße sitzen“ und sagen: das ist alles doof. Alle Menschen sind doof.
Ich kann entscheiden: OK, Ich empfinde das gerade so, aber ich entscheide mich, auch noch eine andere Perspektive einzunehmen. Ich entscheide mich auch das Lustige an dieser Situation sehen zu wollen.
Dazu gehört auch das Thema Selbstverantwortung, wie entscheide ich mich. Humor ist eine Grundhaltung.
Humor führt oft zu Lachen, aber Humor ist nicht gleich Lachen.
Der Amerikaner Norman Cousins (Journalist) war an einer schweren, schmerzhaften Wirbelsäulenkrankheit erkrankt. Es bestand kaum Heilungschancen.
Er hat für sich festgestellt: wenn er lacht, also richtig intensiv lacht, werden seine Schmerzen weniger.
Er konnte auch besser schlafen; er hat sich daraufhin selber das Lachen „verschrieben“. Er forderte die Menschen auf, ihm lustige Filme zu bringen und Witze zu erzählen. Und ja, er hat sich selbst geheilt. Er ist normal alt geworden.
Nicht zuletzt aufgrund seiner Erkenntnisse wurde weiter geforscht, was Lachen alles mit uns macht. Physiologisch macht es sehr viel: Bei richtigem Lachen sind wir unkontrolliert, wir haben wie Zuckungen im Körper; es arbeitet das gesamte System.
Die Lunge wird geradezu durchgelüftet. Wir atmen viel mehr Luft ein, als wenn wir normal am Schreibtisch sitzen. Und auch aufs Immunsystem hat das Lachen positive Auswirkungen.
Also das Lachen ist die beste Medizin, da steckt schon was Wahres dahinter.
Humor als wertvolle persönliche Ressource
Persönliche Ressourcen sind Fähigkeiten, auf die wir bei Bedarf zurückgreifen können, um unser alltägliches Leben, aber ebenso Herausforderungen meistern zu können. Eine dieser Ressourcen ist Humor. Wir haben schon gehört: Humor ist z.B. Medizin.
Humor ist eine Grundhaltung und die Grundhaltung kann man lernen. Humor ist also eine Fähigkeit, die man lernen kann. Manche Menschen haben mehr Talent dazu als andere. Und prinzipiell kann man Humor lernen.
Humor als Grundeinstellung hilft uns, am Problem nicht festzuhalten, an einer Perspektive nicht festzuhalten.
Die Bewältigung des Alltags oder einer Krise wird mit dieser Ressource, der Grundeinstellung Humor, leichter.
Humor und Selbstliebe
Humor als Grundhaltung, die auch eine gewisse Selbstironie unterstützt, ist hilfreich. Wir können uns damit bei unserer eigenen humorvollen Betrachtung selbst sehr liebevoll betrachten.
Bespiel: ich verlege zum wiederholten Male den Schlüssel. In der Hektik laufe ich herum wie ein aufgescheuchtes Huhn. Ich betrachte mich vielleicht „von außen“ und sehe dieses lustige Bild. Wahnsinnig komisch und relativiert die Situation. Ich lache über mich selbst, baue damit Stress ab und habe wieder den Blick frei nach vorne.
Unerwartete humorvolle Bemerkungen
Beispiel 1: Kind fragt auf der Beerdigung, ob Oma nun in der Kiste da liegt. Ein solcher Spruch kann der Situation die Spannung nehmen. Niemand ist böse, alle etwas entspannter.
Beispiel 2: Versammlung von Bewohnern einer betreuten Wohngruppe kurz nach Corona. Ein Mann hustet. Da sagte die Frau neben ihm: wenn ich gewusst hätte, wie du heute aussiehst, wäre ich nicht gekommen. Alle haben Verständnis und doch ist es witzig.
Beide Beispiele zeigen, Humor hilft den Blickwinkel zu verändern, liebevoll zu schauen und mehr Leichtigkeit zu erleben; eine wertvolle Ressource.
Grenzen von Humor
Stereotype Witze oder Aussagen die andere herabwürdigen sind nicht mein Verständnis von Humor.
Zu beachten sind auch kulturelle Unterschiede. Wir lachen nicht alle über die selben Dinge.
Augenhöhe ist in humorvollen Aussagen wesentlich, verlasse ich diese, komme ich an die Grenzen von meinem Verständnis für Humor.
Dabei ist es hilfreich die gegenseitigen Grenzen auszuloten. Das ist das „Spiel“ damit, das oben schon beschrieben wurde. Was geht gerade, wie ist jemand gelaunt, welche Vorgeschichte gibt es etc.
Humor kann willkommen sein, auch wenn jemand schwerkrank ist oder traurig.
Die Rolle des Clowns
Ein Clown hat es dabei eventuell bisschen leichter. Das Vertrauen kommt schneller, er darf sich eher mal ein Fettnäpfchen erlauben, schließlich ist er ja ein Tollpatsch.
Die Clownsnase ist bekanntlich die kleinste Maske der Welt und wird oft universell verstanden. Diese Rolle ist der „Türöffner“.
Humor kann man lernen
Humor ist eine Fähigkeit, die man lernen kann.
Nimm ganz alltägliche Situationen unter die Lupe. Wo genau steckt der Witz, der Humor? Was war (für mich) lustig dabei?
Ähnlich einem Glückstagebuch können wir am Ende des Tages reflektieren und schließlich daraus lernen. Wem es schwer fällt, kann beginnen, zunächst nur auf das Schöne zugucken. Dann auf das Heitere etc. Auch gerne mal mit dem Hintergedanken, was würde der Clown sehen und sagen?
Wie sieht es mit sogenanntem Lachyoga und Lachtreffen aus? Auch das unterstützt das Lachen. Das Gehirn weiß nicht, warum wir lachen; aus dem zunächst künstlichen Lachen kann schnell echtes Lachen werden. Auf jeden Fall ein guter Grund zu lachen. Und Lachen lockert – und macht uns offener. Lachen als Ressource eben.
Worüber lachen wir eigentlich?
Oft sind es die einfachen Dinge über die wir Lachen. Humor zeigt unsere Missgeschicke, unsere Macken und den Alltag und die Fallstricke des normalen Lebens. Das macht es leicht zugänglich.
Humor im Coaching
Humor ist im Coaching in sehr wertvolles Instrument, eben weil es eine Ressource ist. Humor im Coaching wird oft in Form der Provokation genutzt.
Provokation als überspitzte Darstellung des Problems. Dabei bleiben wir natürlich wertschätzend und empathisch. Es wird im Prinzip aufgegriffen, was die Klienten und Klientinnen uns anbieten.
Ein Beispiel einer Story von Milton Ericson, wenn Menschen in ihren Gedanken sind, etwas nie schaffen zu können.
Der Vater von M. Ericson, so die Geschichte, versuchte einen Esel in den Stall reinzuziehen, der Esel wollte nicht. Je mehr der Mann gezogen hat, desto mehr stemmte sich der Esel dagegen.
Milton Ericson hat etwas anderes probiert; er hat den Esel am Schwanz gezogen. Also in die andere Richtung. Dann kam der Widerstand in die andere Richtung – nämlich in Richtung Stall.
Dies Geschichte ist amüsant und regt an, den Blickwinkel zu wechseln.
Wird tatsächlich dabei gelacht, so wird die Veränderung sogar zusätzlich mit einem positiven Gefühl verbunden.
Fazit
Humor ist eine kraftvolle persönliche Ressource, die uns hilft, das Leben mit all seinen Herausforderungen leichter zu bewältigen.
Als eine Unterstützung unserer Resilienz ermöglicht Humor nicht nur, die Welt und ihre Widrigkeiten mit heiterer Gelassenheit zu betrachten, sondern fördert auch eine liebevolle Achtsamkeit uns selbst und anderen gegenüber.
Miteinander zu lachen ist ungleich witziger und bereichernder, als über jemanden zu lachen – auch das ist eine Kernbotschaft, die wir hieraus mitnehmen können.
Indem wir lernen die humorvollen Seiten des Lebens zu sehen, öffnen wir uns für einen Wechsel der Perspektive, der uns aus festgefahrenen Situationen befreien kann.
Humor ist eine Entscheidung, die es uns erlaubt, das Leben in all seinen Facetten anzunehmen und dabei auch über uns selbst zu lachen.
Anke Biesters Clownsein und ihre wertvolle Arbeit in sozialen Einrichtungen macht deutlich, dass Humor Verbindungen schafft und heilen hilft.
Schlussendlich ist Humor eine erlernbare Fähigkeit, die unser Leben bereichert, indem sie uns lehrt, die Leichtigkeit und das Heitere im Alltäglichen zu sehen.
Was verbinden Sie mit dem Thema Humor? Schreiben Sie mir gerne!
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Ulla Sieburg-Gräff
*Coachin für alle, die ihre Art der Kommunikation erneuern möchten, Lösungen im Streit suchen oder denen Entscheidungen schwerfallen.
*Mediatorin für alle, die ihre Konflikte lösen möchten.